Die synoptische Überlieferungen kennt zwei Berufungen des heiligen Andreas: eine, Jesus nachzufolgen (vgl. Mk 1,16 f.), und eine weitere in die auserwählte Gruppe der Zwölf (vgl. Mk 3,13 ff.). Im vierten Evangelium ist die Bedeutung dieses Nachfolgers Jesu viel größer. Dort ist Andreas zusammen mit einem anderen namenlosen Jünger – viele glauben, es könnte der Lieblingsjünger sein – der erste, der Jesus nachfolgt, und zwar auf eine Anweisung des Täufers hin. Und er wird nicht nur als der erste vorgestellt, der Jesus nachfolgt, sondern auch als der erste Apostel, der neue Anhänger Jesu sucht: Er findet seinen Bruder Petrus und einen Tag später Philippus (vgl. Joh 1,41.43a) und führt sie zu Jesus, der sie in seine Nachfolge aufnimmt.
Umstritten ist die Herkunft von Andreas und Petrus. Das vierte Evangelium lässt sie wie Philippus aus Betsaida gebürtig sein, während die Synoptiker (vgl. Mk 1,29) ihren Wohnort mit Kafarnaum angeben (und gewisse archäologische Funde zu letzerer Meinung neigen). Jedenfalls verbindet das vierte Evangelium wiederholt Andreas mit Philippus: Beide haben einen griechischen Namen (sie als einzige im Zwölferkreis), sie treten fast gemeinsam in die Nachfolge ein, beide wirken bei der Brotvermehrung zusammen (vgl. Joh 6,5-8), und beide wirken als Vermittler zwischen Jesus und den Griechen, die sich mit ihm treffen wollen (vgl. Joh 12,20-22). Über diese Nähe von Andreas zur johanneischen Überlieferung verfügen wir außerdem ein interessantes Zeugnis aus dem 2. Jahrhundert, das sogenannte Muratorische Fragment, nach dem es Andreas war, der Johannes ermunterte, sein Evangelium zu schreiben.
Der griechische Name Andreas kann wie bei Philippus ein Zeichen für ein gewisses Eintauchen in die hellenistische Kultur sein, was im halbheidnischen Galiläa nicht selten der Fall war. Und das würde sie dazu prädisponieren, in der Zukunft den christlichen Glauben in die griechische Welt zu tragen und ihn so aus der engen jüdischen Form herauszuführen.
Informationen – deren Grundlage wir nicht kennen – von Origenes und Hieronymus stellen Andreas dar, wie er das Evangelium bei den Skythen, später im Pontus, in Kappadokien, in Galatien, in Bithynien und schließlich in Achaia verkündet. Nach dem Martyrologium Hieronymianum aus dem 5. Jahrhundert ist der heilige Andreas in hohem Alter in Patras als Martyrer gestorben, wobei er sein Leben an ein ×-förmiges Kreuz genagelt beendete. Schon vorher hatte Kaiser Konstantin seine sterblichen Überreste im Jahr 356 nach Konstantinopel bringen lassen.
Die Patriarchatsbasilika von Konstantinopel, das zentrale Gotteshaus der orthodoxen Kirche, gilt als Kathedrale des heiligen Andreas, dessen Fest gleichfalls die zentrale Stelle im Kalender dieser Kirche einnimmt. So werden die beiden Apostelbrüder in Konstantinopel und in Rom parallel verehrt.
Erwägungen Clarets
Pater Stifter bringt in seiner Colección de Selectos Panegíricos eine Einführung oder Gliederung für eine Predigt am Fest des heiligen Andreas, eine breitangelegte Predigt über diesen Heiligen und eine Reihe zusätzlicher Erwägungen über sein Fest. Bei diesem Apostel fallen Claret, der sich an die Angaben der Bibel und an die Legende hält, die ihn später umgab, der Hauptmerkmale auf: seine Bereitschaft, Jesus nachzufolgen, seine Eile und sein Eifer, neue Anhänger für ihn zu gewinnen, und seine Standhaftigkeit und Fruchtbarkeit im Martyrium.
„Es wird besonders bei Andreas wahrscheinlich scheinen, liebe Brüder und Schwestern, dass, weil die ersten Fußstapfen eingegraben und der noch so neue Weg, auf dem man sich zu Jesus Christus wendet, aufgezeigt werden mussten, er von Jesus Christus selbst mit besonderen und ausdrucksstarken Worten und mit Verheißungen und in zwingender Form eingeladen wurde. Doch welche Verheißungen oder Einladungen, wenn man durch das Evangelium selbst sieht, dass die Bereitschaft des Andreas dem Erlöser weder Zeit ließ, ihm etwas zu verheißen, noch ihn überhaupt einzuladen? Bezüglich jedes der übrigen Jünger genügten zwar wenige Worte, damit sie ihm nachfolgten; doch bei Andreas war nicht einmal das geringste Wort nötig, um ihn zu berufen. Nicht damit zufrieden, der erste zu sein, der Jesus nachfolgte, wollte er auch unter allen der einzige sein, der ihm nachfolgte, ohne dass er eingeladen wurde; und wenn man sich an die Berufung hält, die nach außen sichtbar ist und durch Wort erfolgt, wurde Andreas in keiner Weise vom Herrn gesucht, sondern vielmehr lief Andreas auf der Suche nach dem Erlöser mit einer ganz spontanen Bewegung: Mit spontanen Schritten trat er ihm näher, wobei er ihn eher rief als dass er gerufen wurde. Auf der anderen Seite des Jordan redete der Vorläufer Christi zu den zahlreichen Schülern seiner Schule, als er den Nazarener vorbeigehen sah und ausrief: Seht, das erwartete Lamm Gottes; und das genügte, damit Andreas irgendeinen von den Gefährten aus jener Schule mitnimmt und sich auf der Stelle und emsigen Schrittes zu dem Nazarener begibt; er erreicht ihn, hält ihn an und nennt ihn Meister: Rabbi, Rabbi (Joh 1,38). Nicht aus Geringschätzung gegenüber seinem ersten Lehrer, sondern um dem größten zu gehorchen (Johannes Chrysostomus).
„Er sucht seinen Bruder Petrus, sieht ihn, erreicht ihn, spricht mit ihm, predigt ihm und überzeugt ihn; und überglücklich, ohne einen Augenblick zu warten, kehrt er zurück und nimmt ihn selber mit zum Messias und stellt ihn vor: Und er führte ihn zu Jesus. […] O Mut, o Verwegenheit, o Glut des apostolischen Eifers: Die Kirchenväter hören nicht auf, sie zu bewundern, und das bei einem neuen und noch kaum eingeführten Jünger! Seht Andreas, wie er schon vom Anfang seiner Lehrzeit an Frucht bringt, sagt der heilige Petrus Damiani, und wie er zum Verkünder der Wahrheit wird, deren Hörer er gerade erst geworden war. […] Und wenn dieser heilige Mann derart wirkte, als er erst ein Jünger war, und zwar erst seit sehr kurzer Zeit, wie viel stärker und großmütiger müssen seine Unternehmungen gewesen sein, nachdem er von Jesus Christus ausgewählt und als Apostel bezeichnet wurde!“
Nachdem der heilige Apostel seine Schritte durch tausend fremde Länder gelenkt hatte, kam er schließlich nach Achaia und ließ sich dort nieder, wo er Tat für Tag derartige Erschütterungen im Heidentum auslöste, dass der Prokonsul schließlich wutentbrannt sagte, es gebe in jener Provinz keinen berühmten Tempel, der nicht durch seine Schuld verfallen oder verlassen sei […]. Als er sieht, dass weder wiederholte Geißelungen noch das Gefängnis zu etwas führen, um jenen in seinem für das Heidentum so verhängnisvollen Eifer unbezähmbaren Mann von seinem Bemühen abzubringen, da spricht er gegen ihn das Todesurteil und verfügt, dass er an ein Kreuz geschlagen werde […]. Zwei Tage lang blieb er ans Kreuz genagelt, und ebenso lang predigte er, ohne dass ihm der Atem ausging, zur Verwunderung und zum Entsetzen des ganzen dort versammelten Volkes, das ihm zuhörte […]. Über zwanzigtausend Menschen, die bis dahin dem heiligen Wort abgeneigt waren, bekehrte er schließlich vom Kreuz aus.“