Der heilige Matthias, der heilige Paulus und der heilige Barnabas sind die einzigen, denen die kirchliche Überlieferung den Titel „Apostel“ zukommen lässt, ohne dass sie zur vorösterlichen Gruppe der Zwölf gehört haben. Die biblische Information über Matthias – dessen Name, eine Abschleifung von Mattatias, „Gabe Gottes“ bedeutet – ist minimal: Er wird nur in Apg 1,23-26 erwähnt anlässlich seiner Wahl zum Ersatzmann für Judas Iskariot.
Die kleine Geschichte von der Wahl des Matthias ist historisch und theologisch von Interesse. In Bezug auf die Geschichte bestätigt der Fall des Matthias den Eindruck, den uns das vierte Evangelium beständig hinterlässt: Die Gefährten Jesus während seines öffentlichen Wirkens waren nicht nur die Zwölf; es gab weitere Männer und Frauen, die dem Propheten aus Galiläa in seinem Leben als Wanderprediger dauerhaft folgten. Wir können uns keine Vorstellung von der Zahl dieser Begleiter und Begleiterinnen machen. Die Apostelgeschichte liefert uns zwei Namen, die aus einer zahlreicheren Gruppe ausgewählt sind. Seit Eusebius von Caesarea wird Matthias als einer der zweiundsiebzig Jünger betrachtet, von denen Lukas spricht. Vielleicht ragten sowohl er als auch Josef Barsabas aus dieser Gruppe heraus.
Für den Verfasser der Apostelgeschichte hat die Wahl von Matthias auch ein besonderes theologisches Interesse: Der Platz, der wegen Judas unbesetzt ist, muss von einem anderen eingenommen werden, was er sogar mit einem Zitat aus der Schrift belegt: „Sein Amt soll ein anderer erhalten.“ Allerdings geschieht das dann nicht wieder, als er uns später in der Apostelgeschichte vom Tod des Zebedäussohns Jakobus berichtet. Der Unterschied beruht darauf, dass in der Geburtsstunde der Kirche – die der dritte Evangelist mit Pfingsten gleichsetzt – die Gruppe der Zwölf vollständig sein muss: Es sind die neuen zwölf Erzväter des neuen Gottesvolks, das im Entstehen begriffen ist. Jakobus stirbt dagegen, als die Kirche bereits gebildet ist, und man hält es nicht mehr für notwendig, die Zwölfzahl wiederherzustellen.
Theologisch gesprochen, kommen bei Matthias alle Kennzeichnen eines echten Apostels zusammen: Er folgte Jesus und hörte ihn, wurde durch göttliches Einwirken gewählt, lebte die Gemeinschaft mit den anderen Erwählten und setzte sich ein, um Zeugnis von der Auferstehung des Herrn zu geben.
Wie es bei mehreren von den Zwölf der Fall ist, haben wir auch über das weitere Wirken von Matthias keinerlei Informationen. Von der Kirchengeschichte des Eusebius (4. Jahrhundert) an nimmt man an, er habe das Christentum in Äthiopien verkündet, obzwar sein Grab in der Kirche der Benediktinerabtei in Trier (Deutschland), die eben Abtei St. Matthias heißt, verehrt wird; dorthin sei sein Leichnam auch Anordnung der heiligen Helena überführt worden. Doch diese Überlieferung ist erst ab dem 11. Jahrhundert dokumentiert. An diesem Grab wird er folgendermaßen gepriesen: „Er war sehr gelehrt im Gesetz des Herrn, rein am Leib und klug am Geist, scharfsinnig in der Lösung von biblischen Streitfragen, vorausschauender Ratgeber, berühmter Prediger, er wirkte zahlreiche Wunder und gab Gott seinen Geist zurück, indem er das Martyrium mit zum Himmel erhobenen Händen erlitt.“
Erwägungen Clarets
Bei seinen Überlegungen zur Wahl von Matthias macht Claret eine Erwägung über die gute Leitung der Kirche: „Zwei Kandidaten waren vorgeschlagen, bei denen nach dem Urteil aller die Eigenschaften zusammenkamen, die notwendig waren, um in den Apostelstand erhoben zu werden. Josef und Matthias. Josef mit dem Beinamen „der Gerechte“ war ein Verwandter Jesus, und doch fiel das Los nicht auf ihn, sondern auf Matthias. Gott, der nach der Schrift das Los aller lenkt und leitet, wollte damit zu verstehen gegeben, dass kirchliche Würden nicht aufgrund von Verwandtschaft oder Freundschaft vergeben werden dürfen, sondern gemäß den Verdiensten und Talenten des Kandidaten.“
„Jesus nennt die Apostel seine Freunde, er macht sie zu Zeugen seiner Tugend, gibt ihnen Macht, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben und Tote aufzuerwecken. Mit einem Wort, sie sind erwählt und dazu bestimmt, das Evangelium auszubreiten und in der Welt das Reich Jesu Christi aufzurichten. Wenn also Matthias zu einem von ihnen erwählt wird, dann ist klar, dass seine Tugend nicht gewöhnlich war und dass sein Verdienst groß war. Es ist sicher, dass Gott unseren Heiligen im Voraus genannt hatte und dass ihm das Apostelamt von Ewigkeit bestimmt war. Trotzdem wollte er seine Wahl in Gegenwart der Kirche rechtfertigen und wollte, dass das Los geworfen wurde, damit die Tugend des Matthias umso heller erstrahlt.“
„Es waren hundertzwanzig, die der heilige Petrus zur Versammlung einberief, und alle zweifellos mit einer herausragenden Tugend begabt, wie schon ihre Berufung überzeugend darlegt. Es ist nicht möglich, die Namen aller zu wissen, doch es genügt für meine Absicht, den Namen von einigen zu wissen. Ein heiliger Diakon Philipp, den der Engel führte, den Kämmerer der Königin Kandake zu taufen. Ein heiliger Lukas und ein heiliger Markus, die in der Prophezeiung Ezechiels vorgebildet sind als die, welche die Geschichte des Erlösers formen sollten. Ein heiliger Barnabas, der als Apostel verehrt wird, weil er Paulus bei einem großen Teil seiner Reisen folgte und das Evangelium von Christus verkündete. Ein heiliger Erzmartyrer Stephanus, dem der Himmel offenstand und dem der Trost zuteil wurde, Jesus zur Rechten Gottes des Vaters zu sehen, während ihn die Juden steinigten. Leitet nun daraus ab, meine Herren, auf welche so überhohe Stufe sich die Heiligkeit unseres Apostels erhoben haben muss, wenn er ihnen allen vorgezogen wurde. Welcher Eifer, welcher Glaube, welche Wahrheitsliebe, welche Sorge für die Kirche, welche Standhaftigkeit, welche Weisheit!“